Wir alle kennen Situationen, in denen es uns schwerfällt, bestimmte Themen anzusprechen. Manchmal hoffen wir, dass sich die Dinge von selbst erledigen, so dass wir mit unserer Strategie des Aufschiebens irgendwie durchkommen. Wie mir mal ein Kunde über seinen Chef sagte: „Er hat Recht und ich meine Ruhe.“ Oft wird dadurch aber der Buckel unterm Teppich bloß immer größer. Dann wird aus dem lauten, d.h. hörbaren Aussprechen irgendwann ein Schreien oder alles ist so runtergeschluckt worden, dass psychosomatische Beschwerden drohen. Natürlich ist das auch Typ-Sache oder in der Herkunftsfamilie gelerntes Verhalten. Und es gibt zwischen den verschiedenen Kulturen große Unterschiede, wie lautes und offenes Ansprechen z.B. von Problemen bewertet wird. Sprich, ich beziehe mich in erster Linie auf die Anwendung in dem mir bekannten, westlichen, eher deutschsprachigen Umfeld. Hatte mir doch einmal eine englische Kundin gesagt: “If I hadn’t known that you were German, I wouldn’t have let you coach me.” Und das, weil sie mein Feedback erst einmal zu direkt fand.

Typ und/oder erlerntes Verhalten?

Das altbekannte Anlage-Umwelt-Problem, also die Frage ob psychologische Merkmale genetisch vererbt werden oder durch Sozialisationsprozesse entstehen, wird nach derzeitigen Erkenntnissen mit ca. 50/50% beantwortet. Als LINC Personality Profiler Coach, muss ich hier auf die sogenannten Big Five zu sprechen kommen. Etwa ab dem 20. Lebensjahr weisen die BIG FIVE Ausprägungen einer Person eine starke Stabilität auf, die über die gesamte Lebensdauer weitestgehend bestehen bleibt. Sie gelten als eines der, am besten beforschten, Modelle zur Erfassung der menschlichen Persönlichkeit. (Auch wenn eine neuere Studie den Schluss gezogen hat, dass Berufseinstieg und Rentenbeginn die Persönlichkeit verändern, sind das für mich nur Nuancen.) Warum das in diesem Zusammenhang interessiert? Weil einer der Big Five die bekannte Polarität zwischen Introversion und Extraversion abbildet. Und es in der Regel extravertierten Menschen leichter fällt Dinge laut auszusprechen. Damit ist natürlich noch nichts über den Tiefgang und die Angemessenheit des Ausgesprochenen gesagt, die Hürde ist aber erst mal geringer. Und nun kann jeder selbst überprüfen, ob seine Anlage, in die eine oder andere Richtung, in der Herkunftsfamilie eher unterstützt oder eher gebremst wurde.

Männer und Frauen kommunizieren unterschiedlich

Ein FAZ-Artikel 2013 titelte: „Männer wollen Lösungen, Frauen wollen reden.“ Und letztere werden dann oft als nervig und störend empfunden. Während Männer Verbundenheit oft durch Schweigen ausdrücken wollen, möchten Frauen Beziehung durch Gespräche herstellen. Wenn Männer Probleme haben, regeln sie diese lieber allein und wollen nicht darüber sprechen, Frauen wiederum wollen Probleme in Gesprächen erörtern. Klingt jetzt alles ziemlich klischeehaft und dennoch ist da was dran. Das konnte ich als Management Trainerin vor vielen Jahren live erleben, denn neben gemischten Gruppen, betreute ich auch reine Männer- und reine Frauengruppen. Über die unterschiedlichen Kommunikationsstile wurde und wird viel publiziert. Bekannte Autorin auf diesem Gebiet ist Deborah Tannen: eine amerikanische Soziolinguistin, mit ihrem Bestseller: You Just Don’t Understand. Women and Men in Conversation (New York 1990 ). Oder im deutschen Sprachraum z.B. die Bücher des Unternehmensberaters Peter Modler, der in seinem Buch „das Arroganzprinzip“ (Frankfurt am Main 2012) schreibt, dass er es naheliegend findet, sozusagen als „Muttersprachler“ Frauen dabei zu unterstützen männliche Verhaltensweisen besser zu verstehen und darauf zu reagieren.

Wie wichtig ist Authentizität?

Das Wort „authentisch“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet, dass etwas als echt, als Original verbürgt ist. Authentisch wird es und fühlt sich für den anderen auch so an, wenn unser inneres Denken, Fühlen und Wollen mit unserem äußeren Verhalten im Einklang stehen. MIt laut aussprechen ist auch nicht immer und überall die komplette Offenheit gefragt. Da zitiere ich gerne Ruth COHN:

Alles, was gesagt wird, soll echt sein; nicht alles was echt ist, soll gesagt werden.“

(FARAU/COHN, 1999, S. 280).

Häufig höre ich während eines Coachings: „Das kann ich doch so nicht sagen!“ Ja warum eigentlich nicht? Und wenn ich dann nachfrage: „Was genau, möchten Sie denn wie sagen?“ Dann wird deutlich wieviel sich da aufgestaut hat und so kann man es dann meistens wirklich nicht sagen. Hier kommt dann für mich die gewaltfreie Kommunikation nach Rosenberg ins Spiel, um authentisch bleiben zu können und gleichzeitig den anderen nicht zu verletzen. Es gibt unzählige Veröffentlichungen über den Umgang mit der – wie Rosenberg es nannte – Wolfs- bzw. Giraffensprache, also der verletzenden und der empathischen.

Es sind 4 Schritte, die das laute Aussprechen erleichtern. Zuerst ist es sinnvoll sich klarzumachen, wer denn in der zu besprechenden Situation das größere Problem hat. Bin ich das, dann drücke ich mich laut und klar aus. Ist es der oder die andere, dann ist erst mal zuhören und nachfragen angesagt. Natürlich braucht es es einiges an Übung bis einem diese Art zu sprechen in Fleisch und Blut übergeht und nicht irgendwie aufgesetzt und künstlich wirkt.

Die 4 Schritte des laut Aussprechens

  1. Was ist konkret passiert, welche Fakten liegen vor, welcher O(riginal)-Ton wurde gesprochen?
  2. Welches meiner Anliegen ist in dieser Situation nicht zum Zuge gekommen?
  3. Und was löst dieser Mangel bei mir für Gefühle aus?
  4. Um welche konkrete Handlung bitte ich den/die Anderen?

Sind Sie da schon fit, bzw. was tun Sie um es zu werden?

Und noch ein Hinweis für langjährige GfK-Anwender*innen: Um nicht in die Gefahr zu kommen, für die eigenen Gefühle die Schuld beim Verhalten der anderen zu suchen, habe ich mir angewöhnt, zuerst die Anliegen/Bedürfnisse zu Wort kommen zu lassen.

Das Fazit

Lautes Aussprechen gegenüber anderen hilft, dass sich Probleme und Konflikte nicht über längere Zeit aufstauen, dass ich meinem Gegenüber die Möglichkeit gebe, zu verstehen, was in mir vorgeht, dass Lösungen möglich werden. Lautes Aussprechen bedeutet nicht, dass ich mit allem, was ich sage automatisch im Recht bin, meine Perspektive, die einzig wahre und richtige ist und mein Durchsetzungsvermögen etwas mit meiner Stimmlautstärke zu tun haben soll.

Was wollten Sie schon lange einmal ansprechen und haben es bisher nicht getan? Und wie wäre es das jetzt endlich anzupacken?

Viel Erfolg dabei
Ihre Harriet Kretschmar


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